EIN BEITRAG ZUR SERIE „FOTOS VOM PROFI – FOTOGRAFENPORTRAITS III“
FRANK-HEINRICH MÜLLER Jahrgang 1962, lebt und arbeitet in Leipzig,
Ausbildung zum Sägewerker, 35mm-Filmvorführer und Fotografen-Lehre
1988-93 Fotografie-Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst – HGB in Leipzig
1991-93 Projektleiter für Messbildaufnahmen der Fa. DE WAAL
1994 nach dem Diplom Gründung des Photographiedepot’s – Archiv für Bilddokumentation
Seither freiberuflich tätig im Bereich Fotografie (Architektur- und Stadtbilddokumentation, Portraitserien) und Projektmanagement (Sammlungsbetreuung, Ausstellungen und Publikationen)
1996 DAAD-Stipendium an der Columbia University in New York; The Graduate School of Architecture Planing and Preservation bei Prof. Peter Marcuse
2009 Vertretungsprofessur im Masterstudiengang M.A. Photography an der Burg Giebichenstein HS für Kunst und Design Halle/Saale
1. WAS haben Sie zuletzt fotografiert? Portraits und Gruppenbilder von einem jungen Ingenieurbüro in Hannover, das sich auf die Entwicklung, Konstruktion und Realisierung von Brückenbauwerken – also großen Objekten in der Landschaft – spezialisiert hat. Zunächst wollten wir klassische Aufnahmen machen, sind dann aber in das Versuchslabor des Lehrstuhls Massivbau der Universität gegangen und haben die Portraits am Arbeitsplatz gemacht. Den Gesichtern und Gesten der beiden Büroinhaber und ihrer Mitarbeiter ist die gemeinsame Faszination für technische Lösungen und ihre eigene Ästhetik anzusehen.
2. WIE sind Sie zur Architekturfotografie gekommen? Als Student der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig habe ich im Rahmen einer großen Studie den Magdeburger Dom fotografiert. Es ging darum, mit einer schwerfälligen analogen Großformatkamera den gotischen Raum zu erfassen und ihn abzubilden – so einfach das klingen mag. Dabei mussten Ausschnitte, Perspektiven und Lichtsituationen gefunden werden. Diese Erkenntnisse habe ich dann in einer Beschäftigung mit dem Erfinder der Messbildfotografie, Albrecht Meydenbauer, vertieft. Später habe ich mehrere Jahre für die Firma DE WAAL als Aufnahmeleiter die Messbildaufnahmen u.a. am Magdeburger DOM, von St. Georgen in Wismar und am Brandenburger Tor in Berlin realisiert.
3. WAS möchten Sie mit Ihren Bildern aussagen? Zuweilen braucht das Tun und Lassen in den Landschaften einen „periskopischen Blick“, um den Sinn oder Unsinn ihrer Veränderung genauer zu betrachten oder nur zu erahnen. Das Ziel der Fotografie ist es, Betrachtern eine Landschaft verständlich zu machen, die sie nicht selbst gesehen haben. Damit meine ich die Arbeit mit einem Hochstativ, das aus 8 Meter Höhe den panoramatischen Blick, die Erfassung von Stadt- und Landschaftsräumen, ermöglicht. Dieser Standpunkt ist jener ideale und für das menschliche Auge nicht einnehmbare Ort der Beobachtung, von dem aus betrachtet Detail und Totalität in einer Ebene liegen und gleichberechtigt sind. Diesen Ort bestimme und konstruiere ich mit der Kamera.
Raise your side: Das meint einen Perspektivwechsel auf das Objekt, der seine Bedeutung für den Landschaftsarchitekten offenlegen kann. Diese Neugier auf die Wirklichkeit, das Interesse, die Landschaft mit dem Blick eines Beteiligten zu betrachten und sie mit den verschiedensten Ausdruckmitteln in den Bildern sinnlich anschaulich zu formulieren sind meine Anliegen.
4. Wie wichtig nehmen Landschaftsarchitekten gute Fotos für ihre Projekte? Eine Landschaftsarchitektur wird geboren wie ein Kind. Die Übergabe findet vielleicht zur „falschen“ Jahreszeit für eindrückliche Bilder statt. Außerdem ist sie zu Beginn noch ganz klein und unbeholfen. Sie muss erst wachsen und gedeihen. Darum sind Wiederholungen für das Gedächtnis der Landschaft, im Sinne von Longitudinalstudien (Langzeit-Beobachtungen) erforderlich. Man kehrt mehrfach an die Standorte und Schauplätze zurück und findet auf diese Weise in die Idee, das Konzept und die Entwürfe der Landschaftsarchitekten hinein. So entsteht ein umfangreiches fotografisches Inventar, in dem auch Unscheinbares und vielleicht Übersehenes seinen Platz findet. Dafür braucht man einen langen Atem, Geduld und längerfristige Kooperationen. Ich habe das in verschiedenen Dokumentationsprojekten – wie z.B. über die Veränderungen der Tagebau- und Industrielandschaft in Mitteldeutschland – gemeinsam mit Landschaftsarchitekten gelernt.
5. Wie stark bearbeiten Sie Ihre Fotos? Für die Arbeit im dokumentarischen Stil bin ich im rechten Moment am Ort. Deshalb gibt es nichts zu bearbeiten. Etwas ist so, wie es ist. Für mich sind die Bilder, wie sie sind.
6. Welchen Kundenkreis möchten Sie noch gerne erschließen? Mich interessiert die Schanierfunktion zwischen den Architekten und dem Betrachter. Dazu gehören auch die Auftraggeber für Projekte. Diese Rolle als Vermittler kann der Fotograf spielen.
7. Welchen Park oder welchen Platz möchten Sie auf jeden Fall noch ablichten? Eigentlich ist es eine Rückkehr an Orte, die ich schon einmal fotografiert habe, um die Veränderungen aufzuspüren. Dazu gehört die High Line in New York zwischen SOHO und dem großen Busdepot in der 42. Straße mit Blick auf die ehemaligen Hafenanlagen und Lagerhäuser. Dort habe ich 1996 meine Portrait’s von Hochhäusern gemacht. Die High Line (übrigens ca. 8 m hoch) diente mir als Standort für den Blick auf den Bauchnabel von Manhatten. Heute ist dort ein spektakulärer Park, damals wuchsen dort nur die Ruderalpflanzen.
Bild: Leipzig, Brühl / Richard-Wagner-Platz 27.02.2010 Die Momentaufnahme während der Abrissphase dieses Ensemble aus einem Kaufhaus und einer Wohnanlage der DDR-Epoche erinnert mich an das Bild von Paul Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt, wie es Walter Benjamin in seinem berühmten Text über das Bild von Klee formuliert hat. Nach Fertigstellung des Neubaus zu einem Einkaufszentrum werde ich 2012 ein weiteres Bild von diesem Ort für meine Leipziger Brühl-Serie realisieren.
engl. Version
Weiterlesen →